Kein anderes Tier verursacht den Tod so vieler Menschen wie die Mücke. Mit dem Klimawandel wächst die Bedrohung auch in unseren Breitengraden. Was hilft gegen das Insekt und die Seuchen, die es überträgt?
Zuerst verendeten Vögel in und um den Bronx Zoo, Dutzende Krähen und auch drei Flamingos. Das fiel zunächst nicht auf. Erst die Erkrankungen eines 60-Jährigen und eines 75-Jährigen weckten in der Aids-Expertin Deborah Asnis im Hochsommer des Jahres 1999 den richtigen Verdacht. Ihre beiden Patienten im Flushing Hospital in Queens litten an Lähmungen an Armen und Beinen. Ursache war offenbar eine Gehirnentzündung. Aber was hatte die Krankheit ausgelöst?
Asnis erstattete Meldung bei der Seuchenbehörde von New York und übermittelte Blutproben. Die Zahl ähnlicher Fälle stieg auf acht. Alle lagen in Krankenhäusern im Stadtteil Queens, alle hatten die Abende häufig in ihren Klein- und Hinterhofgärten verbracht.
So entdeckte New York die Ankunft des West-Nil-Virus in Nordamerika - früh genug, um die Folgen zu begrenzen, wie Nachrufe auf die aufmerksame Ärztin Asnis betonten, als sie 2015 an Brustkrebs starb. Einsatzfahrzeuge versprühten auf den Straßen und in den Gärten Insektengift. Tote Vögel wurden aufgesammelt, die Wege erkrankter Menschen zurückverfolgt. Am Ende zählte man 1999 sieben Tote und 62 Infektionsfälle. Aber das Virus verschwand nicht mehr, sondern breitete sich in die Rocky Mountains und an die Westküste aus. 2012 war mit 286 Toten, hauptsächlich in Texas, sein vorerst aggressivster Sommer in den USA.
Das eigentlich in den Tropen und den Subtropen verbreitete West-Nil-Virus (kurz WNV) hatten entweder Zugvögel nach New York eingeschleppt oder eine Mücke, die in einem Flugzeug mitgereist sein musste. Dass es sich so rasch in den USA etablieren konnte, hat damit zu tun, dass es nicht wählerisch ist. WNV braucht nicht unbedingt einen exotischen „Vektor“. So nennen Fachleute Organismen, die Krankheitsauslöser übertragen, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. WNV reist problemlos in Culex. Das ist jene Gattung unter den Stechmücken, die Sommer für Sommer die Bewohner Mitteleuropas massenhaft umschwirrt und sticht.
So war es nicht allzu überraschend, als das Virus im August 2018 auch im Zoo von Halle an der Saale nachgewiesen wurde, in einer Eule. Ein Jahr später wurde erstmals ein Mensch registriert, der sich in Deutschland durch einen Mückenstich mit WNV angesteckt hatte. Der 70-Jährige genas im Leipziger Klinikum St. Georg von einer Gehirnentzündung. Mittlerweile hat sich der Erreger in Deutschland etabliert und dürfte Hunderte Menschen pro Jahr infizieren. Knapp ein Prozent der Fälle nimmt einen schweren, potenziell tödlichen Verlauf.
Gefährlicher sogar als der Mensch
Vieles deutet darauf hin, dass das West-Nil-Virus nur eine Vorhut ist. Gerade hat Europa noch mit Corona zu tun, da droht die nächste Plage. Vom Klimawandel begünstigt, rücken tropische Krankheitserreger und deren Vektoren näher. Sie könnten in Zukunft Schlimmeres verbreiten als das West-Nil-Virus, etwa Dengue-, Zika- und Chikungunyaviren.
Dass Mücken diese und andere Erreger wie jenen der Malaria in der Welt verbreiten, verleiht ihnen den zweifelhaften Titel, die gefährlichsten Tiere des Planeten zu sein. Zuletzt töteten die Insekten 830.000 Menschen pro Jahr, rechnet der Historiker Timothy Winegard in seinem kürzlich erschienenen Wälzer „Die Mücke“ vor. An die zweite Stelle der gefährlichen Spezies setzt Winegard den Menschen selbst. 580.000 Opfer forderten Kriege und Morde, ungleich mehr als etwa durch Giftschlangen, Raubkatzen, Haie und Bären.
So verheerend wie in armen Ländern des Tropengürtels können Krankheiten wie Malaria und Denguefieber in hiesigen Breitengraden freilich nicht wüten. Wer sich infiziert und erkrankt, wird behandelt und damit dem Zugriff weiterer Mücken entzogen, die den Virusträger stechen, sein Blut aufsaugen und den Erreger weiterverbreiten könnten. Aber es kann zu begrenzten Ausbrüchen kommen, die durch Nachlässigkeit außer Kontrolle geraten – ähnlich wie Covid-19 in einigen Regionen Europas eskalierte.
Hauptfaktor ist der Klimawandel. „Was früher ein extrem heißer Sommer war, ist heute ein durchschnittlicher Sommer“, fasst die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien die Temperaturentwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Berlin und Brandenburg zum Beispiel registrierten zwischen 1961 und 1990 durchschnittlich 6,5 Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad Celsius pro Jahr. Seitdem sind es 11,5 Tage geworden. Früher kam in Hessen alle fünf Jahre eine „Tropennacht“ (über 20 Grad) vor. 2018 zählte man in Frankfurt am Main sechs, 2019 vier davon. Das sind Bedingungen, unter denen sich exotische Mücken wohlfühlen.
Forscher modellieren ein Warnsystem
An seinem Lehrstuhl für Biogeografie in Bayreuth prognostiziert der Forscher Carl Beierkuhnlein die kommenden Plagen in Deutschland. „Unsere Arbeit schafft ein Frühwarnsystem“, sagt Beierkuhnlein. Eine neue Studie etwa zeigt, wie Sandmücken profitieren. Die Sandmücke überträgt von den Tropen bis in den Mittelmeerraum unter anderem einen Parasiten, der die tödliche Krankheit Leishmaniose auslöst. Während heute nur ein Streifen entlang des Oberrheins sand- mückentauglich wäre, könnten die Tiere bei fortgesetzter Erwärmung gegen Ende des Jahrhunderts sogar nördlich von Berlin und Hannover überleben, ergibt eine Simulation. Vereinzelt sollen Sandmücken bereits in Baden-Württemberg und in Hessen aufgetaucht sein.
Neben Beierkuhnlein verfolgen mindestens zwei Forschungsverbünde die Entwicklung der deutschen Mückenpopulation. Die Wissenschaftler sind sich nicht immer einig, aber einheitlich groß ist ihr Interesse an den Aedes genannten Stechmückengattungen, besonders an Aedes albopictus, der Asiatischen Tigermücke. Aedes leitet sich vom altgriechischen Wort für lästig ab.
Das auffällig gemusterte Tier hat tatsächlich etwas Tigerhaftes an sich. Auf seine Weise ist es stark und angriffslustig. Und es passt sich an. Seine „Viruskompetenz“, wie Fachleute die Fähigkeit von Mücken nennen, unterschiedliche Erreger zu übertragen, schließt den Erreger des Denguefiebers ein. Jährlich erkrankt eine dreistellige Millionenzahl an Dengue, hauptsächlich in Lateinamerika, Zentralafrika, Süd- und Südostasien. Etwa 20 000 Menschen sterben.
Versuche, einen Impfstoff zu entwickeln, stehen vor dem Problem der infektionsverstärkenden Antikörper. Hat ein Mensch eine Infektion mit einem der vier Denguesubtypen durchgemacht, begünstigen die danach gebildeten Immunzellen die Krankheit, sobald sich die Person mit einem anderen Subtyp ansteckt.
Brutstätte Gießkanne
Die zunehmende Wärme lockt den Tigermoskito nach Norden, die Globalisierung unterstützt ihn dabei. Gefährliche Insekten reisen unter anderem in alten Auto reifen und in Pflanzen wie dem asiatischen Glücksbambus ein. Auch Flugzeuge und Vögel sind mögliche Vehikel.
Soeben hat eine Expertenkommission am Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf der Ostseeinsel Riems Daten zur Ausbreitung der Asiatischen Tigermücke in Deutschland aktualisiert. Neu auf ihrer Karte ist das fränkische Fürth. In einer Kleingartenanlage im südlichen Stadtgebiet, nahe dem Main-Donau-Kanal habe das Tier „offensichtlich leider überwintert“, bestätigt Ordnungsamtsleiter Jürgen Tölk. Im Sommer 2019 hatten zwei Anwohner jeweils zwei Exemplare entdeckt und zur Bestimmung an die Expertenkommission geschickt. Im vergangenen Frühjahr wurden wieder Larven gesichtet.
Die Fürther sind nun aufgerufen, den Eindringling zu bekämpfen. Kleine Wasserrückstände, etwa in Gießkannen, Dachrinnen, Eimern und Blumentopfuntersetzern, gelten als Brutstätten. Sie sollen entleert, Regentonnen abgedeckt und Vogeltränken häufiger neu befüllt werden.
Spezialfirmen stellen Mückenfallen auf. Eine auf sie abgestimmte Duftmischung lockt die Tigermücke in einen Behälter, der so konstruiert ist, dass es aus ihm kein Entkommen gibt. In der Kreisstadt Erding nahe München soll ein ähnliches Vorgehen erfolgreich gewesen sein. Dort trat 2017 eine Population auf, die mittlerweile verschwunden ist. Am Oberrhein, in der Rhein-Neckar-Region, aber auch in Frankfurt am Main und in Jena gilt das tropische Insekt hingegen als etabliert.
Luftangriff Anti-Mücken-Aktion bei Karlsruhe
„Wir werden die Aedes-Mücken nicht mehr los“, sagt Sven Klimpel, der sich an der Universität und am Senckenberg- Forschungszentrum für Biodiversität und Klima in Frankfurt mit invasiven Arten beschäftigt, also etwa auch mit Waschbären oder Marderhunden und deren Krankheitserregern.
Noch existieren keine Belege, dass Tigermücken die Viren, deretwegen sie gefürchtet sind, hierzulande übertragen. Zwar registrierte das Robert Koch-Institut in Berlin bis zum Corona-Ausbruch Jahr für Jahr mehr Fälle von Denguefieber in Deutschland (2019 zählte man 1150, davor 600), doch soll es sich ausschließlich um Importe handeln, um von Reisen mitgebrachte Infektionen. Die Wanderbewegung nach Norden ist dennoch unübersehbar. In Südfrankreich kam es bereits zu autochthonen, im Land erworbenen Dengue-Infektionen.
Längst richtet sich die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs) nicht nur gegen dicht auftretende Schwärme heimischer Culex-Arten, sondern geht gezielt gegen die Asiatische Tigermücke vor. Die 1976 gegründete Kabs ist bundesweit bekannt, weil sie entlang des Oberrheins zwischen Bingen und Offenburg ein Insektengift namens Bacillus thuringiensis per Hubschrauber ausbringen lässt.
Gegen Tigermücken wählen die Insektenjäger um den Biologen Norbert Becker eine modernere Methode. Sie sammeln Eier und schicken sie an ein Agrarforschungsinstitut bei Bologna. Dort trennt man die Gelege nach Geschlecht und sterilisiert die Männchen mit Gammastrahlen.
Weil Mückenweibchen monogam leben, sollte sich bei einer hohen Zahl behandelter Tiere der gewünschte Erfolg bald einstellen. In dem mückengeplagten, linksrheinisch bei Ludwigshafen gelegenen Neubaugebiet Melm testet Becker die Methode. Er setze dort wöchentlich 34.000 sterile Männchen aus. Als Folge sei die Zahl entwicklungsfähiger Eier deutlich gesunken, berichtet er.
Die Vererbung beschleunigen
Anderswo nimmt man Gentechnik zu Hilfe. Gegen die verwandte Gelbfiebermücke Aedes aegypti hat das britischbrasilianische Unternehmen Oxitec eine kleine Kapsel entwickelt, die bei Zugabe von Wasser zu einer Art Brutreaktor wird. Die männlichen Mücken, die ihr entschlüpfen, besitzen ein Gen, das ihren Nachwuchs lebensunfähig macht. Soeben haben die US-Behörden einen Großversuch auf der Inselkette der Florida Keys genehmigt. Umweltschutzgruppen kritisieren derartige Experimente. Sie halten Sicherheitsfragen für unbeantwortet. So gab es Spekulationen, die Technik könnte Insekten widerstandsfähiger gegen herkömmliche Gifte oder sogar infektiöser machen.
Gleichwohl laufen Versuche mit sogenannten Gene Drives. Das Forschungskonsortium „Target Malaria“ - unterstützt von der Bill and Melinda Gates Foundation - will damit die Malaria besiegen, die tödlichste von Mücken übertragene Krankheit. Eine Genschere wie Crispr/Cas-9 soll helfen, das Gen für eine Eigenschaft - etwa Sterilität - so in einen Organismus einzubauen, dass sie sich möglichst schnell an alle Nachkommen vererbt. Im Labor funktionierte die Technik.
Eine weniger umstrittene Möglichkeit, Mücken unschädlich zu machen, besteht in Impfstoffen gegen die Krankheiten, die sie verbreiten. Immerhin habe sich, so registriert der Bayreuther Biogeograf Beierkuhnlein, in den Ländern des reichen Nordens das Interesse der Forschung daran intensiviert - wohl ein positiver Nebeneffekt der als wachsend wahrgenommenen Bedrohung.
Malariaimpfstoff aus Tübingen?
Anlass zu Zuversicht gibt ein Projekt, das eine Immunisierung gegen Malaria hervorbringen soll. An einem Schutz vor dem Parasiten, den die Anophelesmücke überträgt, scheiterten schon Generationen von Forschern. Der Tübinger Tropenmediziner Peter Kremsner und das US-Unternehmen Sanaria haben nun einen Impfstoff entwickelt, der noch in diesem Jahr in eine Zulassungsstudie kommen soll. Sein Kandidat funktioniere „nach altem Rezept“, so Kremsner. Der Impfstoff besteht aus abgeschwächten Sporozoitenzellen. Sporozoiten sind die infektiösen Teile des Erregers. Ähnliche Lebendimpfstoffe schützen vor Masern.
Wesentliche Teile der Impfstofftests finden im afrikanischen Gabun statt. Die Region ist malariaverseucht. Täglich sterben Kinder an dem Tropenfieber. Das von dem Arzt und späteren Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer 1913 gegründete Krankenhaus, von dem aus Probanden rekrutiert werden, steht in der Stadt Lambaréné.
In der Sprache eines lokalen Volkes bedeutet Lambaréné: „Wir wollen es versuchen.“ Die hoffnungsvolle Haltung eint Infektionsforscher weltweit.
July 19, 2020 at 05:23PM
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Das gefährlichste Tier der Welt tötet 830.000 Menschen pro Jahr - FOCUS Online
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