Norbert Wittmann, Fleischsommelier aus Neumarkt, spricht über Zustände in der Fleischindustrie und Alternativen zum Filet.

Neumarkt.Norbert Wittmann ist Fleischsommelier und betreibt in Neumarkt ein Gasthaus mit Metzgerei und Hotel. Er setzt auf alte Schweinerassen aus artgerechter Haltung von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH). Wir haben mit ihm über die Veränderungen in der deutschen Fleisch- und Schlachtindustrie gesprochen und er erklärt, was man von anderen Ländern lernen kann.
Herr Wittmann, wie geht man hierzulande mit Fleisch um?
Norbert Wittmann: Die kleinen Schlachthöfe wurden wegen EU-Richtlinien geschlossen, typisch deutsch. Italiener, Spanier und Franzosen behalten dagegen ihre Tradition. 2018 hatte ich die Gelegenheit, das Kühlhaus eines der angesagtesten französischen Metzger, Pascal Huet, zu besichtigen. Drinnen ein uralter, hölzerner Zerlegetisch. Bei uns gibt es nur noch Kunststoff. Dabei enthalten Hölzer viel Gerbsäure, das macht sie antibakteriell. Im Kühlraum hingen ein Rind, ein Kalb, zwei halbe Schweine, eine Ziege, ein Lamm und gleich daneben alle Geflügel – aber mitsamt Kopf, Gefieder und Füßen. Die Franzosen wollen alles, wir müssen das wieder lernen. Ein Tier besteht nicht nur aus Oberschale, Rippchen und Filet.
Was war früher anders?
Früher wurde ein Schwein ein Jahr lang gefüttert, heute sind es vier Monate. Es gab lauter kleine Landwirte, die Nutztiere waren Teil der Familie. Aber dadurch, dass die Schlachthöfe vor Ort zusperren mussten, wurde die regionale Vermarktung zerstört. Kleine Betriebe können bei uns fast nicht mehr existieren, weil es so viele Regularien gibt. Man züchtet Großbetriebe wie Tönnies, Westfleisch und Co.

Das Kaufverhalten an der Metzgertheke hat sich verändert...
Die Naturrassen sind verschwunden, obwohl sie zwar mehr, aber gesünderes Fett haben und besser schmecken. Heute soll Fleisch so mager wie möglich sein. Wir müssen weg vom Filetfresserwahnsinn, hin zur Ganztierverwertung. Das ganze Tier ist ein Edelteil. Früher hat man vielleicht einmal in der Woche Fleisch gegessen, heute muss es täglich Fleisch sein. Ich plädiere als Metzger für weniger Fleischkonsum. Wenn ich weniger davon esse, kann ich mir besseres Fleisch leisten.
Sie regen an, dabei auch mehr auf andere Länder zu schauen.
Der Filetanteil bei Schweinen und Rindern liegt gerade einmal bei etwa 1,3Prozent. Vor allem im Sommer brauchen wir aber viele Kurzbratstücke zum Grillen. In anderen Ländern kennt man ganz andere Zerlegetechniken, es gibt bis zu 80 Zuschnitte vom Rind – viel mehr als nur Filet, Roastbeef oder Rib Eye.

Geben Sie uns mal ein Beispiel...
In Frankreich findet man in jeder Theke das sogenannte Onglet, bei uns nennt man es Nierenzapfen. Das ist beim Rind der Muskel, der das Zwerchfell von Lunge und Gedärmen trennt. Dieses Stück ist eine Delikatesse, im amerikanischen heißt es Hanging Tender, das hängende Zarte. Der Geschmack ist so intensiv, da kommt kein Filet und kein Roastbeef ran. Nur: Heute kennt das bei uns kaum noch jemand. Viele Metzger schneiden es einfach in die Wurst. Ich bin noch weiter gegangen und hab mich gefragt: Das geht doch bestimmt auch vom Schwein? Ich schneide es jetzt gezielt heraus und biete es auf der Karte an. Wir müssen über den Tellerrand hinausblicken – so ein Tier bietet viel mehr Kurzbratstücke, als mancher denkt. Wenn ich für zehn Leute grille, würde ich nicht zehn Steaks kaufen, sondern zehn verschiedene solcher Teile.
Wie gelingt so ein Stück?
Kommt es als Ganzes, kaut man auf langen Fasern herum. Zart wird es, wenn man es nach dem Grillen tranchiert. Man schneidet dünne Streifen, entgegen der Faser– das ist der Clou.
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August 01, 2020 at 10:00AM
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